Cooperative Praxis
(collaborative practice, collaborative law)
Cooperative Praxis findet weltweit zunehmende Verbreitung. Als erste Region in der Bundesrepublik Deutschland hat sich C. P. in München etabliert. Hier gibt es zur Zeit mehr als 70 von amerikanischen Trainern ausgebildete Personen: Anwälte/Coaches und Experten, insbesondere Kinderexperten. Alle sind zugleich in Mediation ausgebildet. Sie sind im „Münchner Netzwerk für Cooperative Praxis“ vereint (www.cooperative-praxis.de).
Gemeinsamkeiten mit der Mediation
Cooperative Praxis ist neben der Mediation das einzige Konsensverfahren mit einer – erlernbaren – Struktur. Wie die Mediation hat es zum Ziel, eine interessengerechte, selbstverantwortete Einigung unter den Konfliktparteien herbeizuführen. Auch die Prinzipien gleichen einander. Die Verantwortlichkeit der Konfliktpartner ist ähnlich ausgestaltet. Ähnlich ist auch der Ablauf geregelt: Arbeitsbündnis, Bestandsaufnahme, interessengerechte Konfliktbearbeitung, Einigung und Implementierung des gefundenen Ergebnisses, meist in einem rechtsverbindlichen Vertrag.
Unterschiede zur Mediation
Unterschiede im Hinblick auf die professionell Beteiligten
Die Unterschiede liegen darin begründet, dass dieses Verfahren nicht durch einen Mediator gesteuert wird, sondern durch die beteiligten Berufsgruppen, also von den die Parteien beratenden und vertretenden Anwälten (beschränkt es sich darauf, wird das Verfahren häufig auch als collaborative law gekennzeichnet), zum Teil darüber hinaus oder von Coaches, die die Parteien psychisch bei der Bewältigung des Verfahrens unterstützen (insofern wird das Verfahren auch als collaborative practice gekennzeichnet; die Begriffe werden zum Teil synonym verwandt). Da das Wort collaborative in der deutschen Sprache verbraucht ist, ist das Verfahren als Cooperative Praxis gekennzeichnet worden.
Besonders hervorzuheben ist die Rolle der Rechtanwälte, die gleichzeitig die Coope-rative Praxis charakterisiert. Im Unterschied zum traditionellen Beratungs- und Vertretungsmodell verpflichten sich die Anwälte, ihre Parteien nicht vor Gericht streitig zu vertreten, falls die Verhandlungen scheitern bzw. nicht zu einer Einigung führen. Dies vor allen Dingen deshalb, damit sie im Interesse ihrer Parteien mit voller Energie auf eine Einigung hinarbeiten können und sich nicht – für den Fall des Scheiterns der Vereinbarung – „rechtspositionsfähig“ für eine Vertretung vor Gericht halten müssen, also sich nicht immer auch gleichzeitig fragen müssen, was sie zurückzuhalten haben, um sich vor Gericht keiner Blöße auszusetzen.
Ob Anwälte und Coaches oder nur eine der beiden Berufsgruppen beigezogen wird, hängt von dem Bedarf der Konfliktpartner ab. Als Hilfe zur Selbsthilfe stützen alle professionell am Verfahren Beteiligten die Autonomie der Konfliktpartner: in ihrer Dialog-, in ihrer Verhandlungs- und ihrer Gestaltungsfähigkeit, um zu einem für sie zu-frieden stellenden Ergebnis zu gelangen.
Auf der professionellen Seite sind namentlich bei dem Anwalt zwei Ebenen zu unter-scheiden, die er in sich auszutarieren hat: Auf der Verfahrensebene gibt es die Vereinbarung aller Beteiligten, einen Konsens zu finden. Insofern handeln die professionell Beteiligten als Team. Sie treffen sich auch eigens ohne die Parteien, um je nach Phase die optimale Verfahrensform zu verabreden. Was der Mediator allein mit sich selbst ausmacht, müssen die Anwälte und die Coaches miteinander abstimmen.
Auf der Inhaltsebene beraten und unterstützen Anwälte und Coaches ihre Konfliktpartner. In Gesprächen vor der Verhandlung wird der Anwalt mit seinem Mandanten dessen Interessen und tiefer liegende Bedürfnisse herausarbeiten, die zugrunde liegenden Konflikte analysieren und sortieren, seine Partei über ihre Rechte belehren, ihr vertragliche Erfahrungswerte aus typischen Lebenssituationen zur Verfügung stel-len sowie bei Trennung und Scheidung in den Gründzügen vermitteln, was die Bedürfnisse der Kinder in der Trennung sind. Der Anwalt wird sich dafür einsetzen, dass sein Mandant für seine wechselseitig faire Vereinbarung auch die Sichtweise des Konfliktpartners versteht, um zu einer ausgewogenen Lösung zu kommen. Nicht zuletzt ist er mit seinen Kollegen für die rechtlich verbindliche Ausformulierung mit ver-antwortlich.
Der Coach wird in einem vertieften Verständnis auf die persönlichen Belange seines Auftraggebers eingehen. Er schafft einen Raum, in dem sein Klient seine Gefühle, Bedenken, Wünsche und Bedürfnisse äußern und klären kann. Er gibt seinem Klienten Kommunikationsformen an die Hand, die den Prozess möglichst effektiv voranbringen. Beide professionell Beteiligten geben im Zusammenwirken und im Zusammenwirken des gesamten Teams ihren Klienten Halt, sodass diese ihre Potentiale für kreative Lösungen zur Geltung bringen können und helfen ihnen überhaupt praktisch bei der Bewältigung im Durchgang der konflikthaften Situation.
Es ist die Kunst dieses Verfahrens auf der professionellen Seite, innerlich die Spannung als Teammitglied für den Konsens und als Vertreter der eigenen Partei für deren Interessen zuständig zu sein, so zu bewältigen, dass es allen dient.
Wenn nötig, werden Spezialisten oder anderweitige Experten beigezogen, bei Trennungs- und Scheidungsverfahren namentlich Kinderspezialisten. Sie werden von beiden Seiten gemeinsam bestellt und sind neutral. Diese Neutralität hat eine Rückkoppelung auf das Verfahren, es „objektiviert“.
Unterschiede im Hinblick auf die Choreographie
Die Choreographie im C. P.-Verfahren ist umso komplexer, je mehr Personen professionell beteiligt sind. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass es auf den Be-darf der Klienten ankommt und diese von Natur aus darauf achten werden, das einfachste und kostengünstigste Setting auszuwählen. Die Komplexität ist überdies nicht singulär. Sie ist auch bei herkömmlichen traditionellen Verfahren vor Gericht anzutreffen.
Kosten
Abgerechnet wird in der Regel nach Zeitaufwand, möglicherweise wird wie in der Mediation für Anwälte ein Einmalbetrag bei dem Wunsch nach vertraglicher Gestaltung gesondert vereinbart. Zentral ist, dass die Kosten immer transparent sind. In manchen Fällen kann Verfahrenskostenhilfe eingesetzt werden.
Eignung und Eignungsgrenzen
Cooperative Praxis wird an die Stelle der traditionellen anwaltschaftlichen Viererverhandlungen oder Gerichtsverhandlungen treten, wenn die Parteien nicht nur die Grenzen ausloten wollen, was ihnen von Rechts wegen zusteht, sondern auf der Grundlage des gesamten Konfliktstoffes im Austasten aller Ressourcen und Synergien eigenverantwortlich einen Konsens anstreben.
Cooperative Praxis wird im Verhältnis zur Mediation dann als geeigneter angesehen werden müssen, wenn die Parteien einen anwaltschaftlichen oder/und psychischen Begleiter an ihrer Seite brauchen: sei es,
- weil sie Schwierigkeiten haben, für sich selbst einzustehen,
- weil sie psychologische Unterstützung brauchen,
- weil die Situation wegen ihrer Komplexität nach einem Fürsprecher verlangt,
- um in diesem Zusammenhang Expertenwissen in Anspruch zu nehmen,
- weil die Konfliktpartner einen sicheren Halt in einem verabredeten, auf Konsens ausgerichteten System bevorzugen.
Cooperative Praxis kann an die Stelle der Mediation treten, wenn die Kapazität des neutralen Mediators nicht ausreicht, um die Parteien zu einer eigentlich gewollten Einigung zu begleiten. Als komplexeres Verfahren kann es bei komplexeren Sachverhalten eingesetzt werden.
Cooperative Praxis erweitert damit den Spielraum für eine außergerichtliche Konsensfindung.